Die Konzertorgel im
Musiksaal des Hans-Sachs-Hauses
Nachdem die Stadt Gelsenkirchen im Hans-Sachs-Haus einen Konzertsaal
großen Ausmaßes geschaffen, welcher dem musikalischen Leben unserer
Stadt einen würdigen Rahmen verleihen soll, bestand auch das Bedürfnis
nach einer Konzertorgel, die in ihren Größenverhältnissen dem Saal angepaßt
war und durch ihren Aufbau und ihre klanglichen Möglichkeiten allen
musikalischen Wünschen in vollkommener Weise gerecht zu werden vermochte.
Der Bau des Instrumentes wurde der größten deutschen Orgelbauanstalt
E. F. Walcker & Co., Ludwigsburg, übertragen, aus deren Werkstatt die
Orgel als Opus 2150 hervorgegangen ist. Für die Durcharbeitung aller
Einzelfragen zwischen der Erbauerin und den von der Stadt berufenen
Sachverständigen stand etwa ein Jahr zur Verfügung. Da sowohl die Erkenntnisse
und Erfahrungen berücksichtigt worden sind, welche das Studium klangschöner
alter Orgeln der Bach'schen und Vor-Bach'schen Zeit ergab, wie auch
alle künstlerisch wertvollen Errungenschaften der neueren Orgelbaukunst,
so dürfte ein näheres Eingehen auf die Gesichtspunkte, nach welchen
der Aufbau des Instrumentes entworfen worden ist, auch für weitere Kreise
von Interesse sein.
Welches sind die Aufgaben einer Konzertorgel? Sie sind in der Hauptsache
zweierlei Art:
1. ZUSAMMENWIRKEN MIT ORCHESTER UND CHOR. Für diesen Zweck muß das Instrument
eine genügende Größe, Fülle und Tragfähigkeit des Klanges besitzen.
Wenn man bedenkt, daß bei Oratorien von Bach und Händel zu einem Orchester
von 60 bis 80 Musikern Chöre von 200 bis 300 Stimmen hinzutreten, eine
Zahl, welche sich bei modernen Chorwerken noch ganz wesentlich erhöht,
und wenn dann die Aufgabe der Orgel nicht darin bestehen soll, in der
Klangmasse unterzugehen, sondern vielmehr zu führen, das Ganze zu beherrschen
und dem Gesamtklang den letzten festlichen Glanz zu verleihen, so darf
sie nicht zu klein bemessen sein; sie muß durch Weichheit und Fülle
mit dem übrigen Tonkörper verschmelzen, durch die Klarheit ihrer Stimmen
den Chor führen und durch eine ausgiebige Baßwirkung (Pedalstimmen)
die Grundlage des Gesamtklanges abgeben.
2. DIE VERWENDUNG ALS SOLO-INSTRUMENT. Sie muß bei dem ungeheuren Reichtum
an wertvoller Orgelliteratur von vier Jahrhunderten, einem Reichtum,
von welchem sich der Fernerstehende kaum einen Begriff macht, in weitaus
stärkerem Maße als bisher in Betracht kommen. Dazu ist aber erforderlich,
daß das Instrument sowohl in seinen Einzelstimmen wie in seiner Gesamtwirkung
zur Wiedergabe aller Stilrichtungen geeignet ist. Es muß zugegeben werden,
daß die in den vergangenen Jahrzehnten gebauten Kirchen- und Konzertorgeln,
von nicht allzu zahlreichen Ausnahmen abgesehen, für eine vorbildliche
Wiedergabe polyphoner Musik wenig geeignet sind. Der aufmerksame Zuhörer
wird sich kaum des Eindrucks erwehren können, daß der Klang zu dick
und massig ist, um die Struktur und Linienführung der Komposition wirklich
klar erkennen zu lassen, und daß das "Volle Werk" durch seine Schärfe
oft kaum zu ertragen ist. So ist es zu erklären, daß ein großer Teil
des Publikums zu solchen Darbietungen bisher nicht die rechte innere
Verbindung zu gewinnen vermochte.
Wer dagegen einmal polyphone Musik auf einer gut erhaltenen deutschen
Orgel des 17. Jahrhunderts gehört hat, der wird überrascht und beglückt
gewesen sein von der unbedingten Klarheit und Schönheit der Stimmenführung
sowie dem geschlossenen, weichen und leuchtenden Tutti solcher Instrumente.
Er wird dabei die Empfindung gehabt haben, daß die Orgel keineswegs
die Kopie eines großen Orchesters sein soll, sondern daß in ihrem eigene
Wege gehenden Farbenreichtum ihre besondere Stärke liegt.
Es ist zu begrüßen, daß unsere Orgel gerade jetzt und nicht schon einige
Jahre früher gebaut wurde, denn besonders in den letzten Jahren hat
sich die Orgelbauforschung wieder besonders eingehend mit den alten
Instrumenten und den Ursachen ihrer klanglichen Vollkommenheit beschäftigt.
Der Niederschlag dieser Studien ist vornehmlich in dem Bericht über
die Freiburger Tagung für Deutsche Orgelkunst 1926 erfolgt (Bärenreiter-Verlag
Augsburg), die praktische Auswirkung erstmalig in der Walcker-Orgel
des Saalbaues zu Recklinghausen und der Orgel der Göttinger Marienkirche,
erbaut von Furtwängler & Hammer, beide vollendet 1926. So konnten die
neuesten theoretischen und praktischen Erkenntnisse dem Entwurf unserer
Orgel in vollem Umfange zugute kommen.
Die klanglichen Vorzüge der alten Orgeln liegen in der wohldurchdachten
Auswahl und Mensurierung ihrer Labialpfeifen begründet. Hierüber einige
kurze Vorbemerkungen. Eine Orgelpfeife klingt umso voller, weicher und
grundtöniger, je weiter sie im Verhältnis zu ihrer Länge bemessen ist
("weite Mensur") und mit je niedrigerem Winddruck sie angeblasen wird.
Solche Pfeifen betonen den Grundton und sind fast frei von Obertönen.
Demgegenüber besitzen Pfeifen mit "enger Mensur", besonders bei erhöhtem
Winddruck, einen obertonreichen, scharfen, oft gequälten Klang, welcher
zu einem wirklich befriedigenden Gesamtklang meist nicht verschmilzt.
Orgeln, ausschließlich besetzt mit Pfeifen von weiter Mensur, würden
also sehr voll, weich und einheitlich im Klang sein, aber mangels Obertönen
den strahlenden Glanz, der bekanntlich erst durch die Obertöne erzielt
wird, vermissen lassen. Deshalb bediente sich der alte Orgelbau zur
Erzielung von Licht und Klarheit in überaus reichem Maße eines Mittels,
das er künstlerisch beherrschte. Er fügte eine Reihe von weitmensurierten
kleinen Pfeifen hinzu, welche die fehlenden Obertöne einfach selbst
als Grundton anblasen und bei glücklicher Intonation mit dem übrigen
Klangkörper vollkommen verschmelzen; diese Pfeifen wurden zum Teil als
Einzelregister aufgestellt ("Einzelaliquotstimmen"), teils zu mehreren
als Chöre zusammengefaßt ("Mixturen"). In der weisen Beschränkung auf
wenige weitmensurierte Grundstimmen und der reichlichen Verwendung künstlerisch
intonierter Obertonregister (Aliquote und Mixturen) liegt: das Geheimnis
des Wohlklanges der alten Instrumente. Später, gegen Ende des 19. Jahrhunderts,
ging der Orgelbau unter dem Einfluß des Orchesterklangideales von diesem
Wege ab und bevorzugte enge Mensuren und erhöhten Winddruck; die Kunst,
wohlklingende Mixturen zu bauen, ging zum Teil verloren. Das Ergebnis
war nicht mehr Weichheit, Fülle und Klarheit, sondern Dickflüssigkeit,
Härte und nicht befriedigende Klangverschmelzung. Wenn diese Nachteile
bei unserer Orgel vermieden werden sollten, so war der einzuschlagende
Weg grundsätzlich vorgezeichnet und ist nunmehr ohne weiteres verständlich:
keine Anhäufung ähnlich klingender Grundstimmen, weitgehende Beschränkung
in der Auswahl engmensurierter Register (ganz kann und soll man sie
nicht entbehren), Anwendung weiter Mensuren bei mäßigem Winddruck, reiche
Auswahl von Obertonregistern und künstlerisch intonierten Mixturen,
schließlich noch Ergänzung durch eine genügende Anzahl vornehm klingender
Zungenstimmen.
Wesentlich ist ferner noch folgender Gesichtspunkt: Jede, auch die kleinste
Orgel, soll mindestens zwei Klaviaturen für die Hände ("Manuale") besitzen,
um das Spiel mehrerer Klangkomplexe gegeneinander oder gegen eine durchlaufende
Melodie (cantus firmus) zu ermöglichen; größere Instrumente besitzen
drei bis fünf Manuale. In den letzten Jahrzehnten verteilte man die
klingenden Stimmen in der Weise, daß die Manuale sich lediglich in der
Klangstärke voneinander unterschieden, d. h. die oberen Manuale besaßen
die schwachen Register und waren demnach nur das Echo der unteren, stärkeren
Manuale. Ein Gegeneinanderspielen z. B. eines cantus firmus gegen eine
gleich starke, aber anders gefärbte Gegenstimme war kaum möglich. Die
gute deutsche Orgel früherer Jahrhunderte war aber so disponiert, daß
die einzelnen Klaviere sich vornehmlich durch ihre Klangfarbe von einander
unterschieden. Hierdurch ist eine unverschleierte Gegensatzwirkung ermöglicht
und eine Offenbarung des geistigen Gehaltes der Komposition, welche
sich auch dem ungeübten Hörer mit vollkommener Deutlichkeit aufdrängt.
Auch bei der Orgel des Hans-Sachs-Hauses ist dieser Gedankengang, die
Unterscheidung der einzelnen Manuale weniger nach Klangstärke als nach
Klangfarbe, weitgehend berücksichtigt worden.
DISPOSITION DER ORGEL.
Die Disposition der Orgel, d. h. die Auswahl der klingenden Stimmen
und ihre Verteilung auf die Manuale und das Pedal, ist nicht aus einem
kleinen Entwurf durch allmähliche Vergrößerung entstanden, sondern in
dem durch die Saalverhältnisse geforderten Umfang von vornherein als
einheitliches Ganzes erdacht worden. Der Entwurf entstand nicht allein
nach den oben dargelegten künstlerischen Gesichtspunkten, sondern auch
unter wirtschaftlichen Rücksichten, indem jedes Register so vorgesehen
wurde, daß es in seiner Wirkung durch kein anderes zu ersetzen ist und
daß im übrigen (bei einer Gesamtpfeifenzahl von 5800) doch keine Pfeife
überflüssig in der Orgel vorhanden sein sollte.
Die Orgel hat 91 Register, welche sich auf 4 Manuale und 1 Peda! verteilen.
Vom vierten (obersten) Manual wird nicht allein das auf dem 16-Fuß-Ton
(Unteroktavlage) aufgebaute Bombardemanual gespielt, sondern durch einfache
Fußhebelumschaltung auch das Fernwerk; bei dieser Umschaltung verstummt
automatisch das Pedal der Hauptorgel, und es erklingen die entsprechenden
Pedalstimmen im Fernwerk.
Über die Klangfarbe der einzelnen Manuale und ihre Besetzung gibt nachstehende
Aufstellung Aufschluß:
I. MANUAL: Voller, weicher, durchsichtiger Grundklang: die 15 Register
dieses Manuals sind zum großen Teil nach dem Vorbild des bedeutendsten,
zu Bachs Zeiten lebenden Orgelbauers Gottfr. Silbermann (1683-1753)
intoniert.
II. MANUAL: Im Gegensatz zu I heller Flötentoncharakter: es enthält
die Obertonregister lückenlos ausgebaut bis zum 1', sodaß diesem mit
18 Registern besetzten Manual eine ganz besondere Biegsamkeit und Beweglichkeit
des Klanges eigen ist.
III. MANUAL: Leicht streichender Charakter, die Mensuren sind aber nicht
so eng gewählt, daß nicht eine vollkommene Verschmelzung des Klanges
mit dem der anderen Manuale gewährleistet wäre; es enthält 15 Register.
IV. MANUAL: In diesem Manual sind vornehmlich diejenigen Stimmen vereinigt,
welche dem Gesamtklang der Orgel die besondere Majestät verleihen. Es
handelt sich hier in erster Linie um die schweren Zungenstimmen (Bombarde,
Posaune und Trompete). Durch diese Verteilung behalten die 3 übrigen
Manuale ihre Klarheit, der Hinzutritt des 4. Manuals ergib aber für
den Gesamtklang eine schwerprächtige Steigerung und den letzten festlichen
Glanz (Reger). Es ist mit 13 Registern besetzt. Unter diesen befindet
sich als Schlagwerk eine Celesta (Stahlplattenklavier), welche in modernen
Orchesterwerken oft benötigt wird, meist aber fehlt.
PEDAL: Das Pedal ist so besetzt, daß es sowohl ein ausreichend kräftiges
Tonfundament abgibt, als auch allen Anforderungen der verschiedensten
Stilrichtungen gerecht wird. Es hat 19 Stimmen, darunter drei 32'-Register
(d.i. Doppelunteroktave). Besonderes Gewicht wurde auf den Ausbau des
Zungenchors im Pedal gelegt; im ganzen sind 6 Zungenstimmen vorhanden.
FERNWERK: Das Fernmanual ist auf einen besonders hellen Charakter abgestimmt
und mit 9 Registern, darunter zwei Zungenstimmen besetzt. Gleichzeitig
mit der Umschaltung tritt auch das Pedal im Fernwerk in Kraft, welches
zwei Register, darunter wiederum eine weich intonierte Zungenstimme,
enthält.
Zur Winderzeugung für die Orgel dienen drei elektrische Orgelgebläse,
von denen zwei auf die Hauptorgel, das dritte auf das Fernwerk wirken.
Um auch die durch ihren mehr kammermusikalischen Aufbau bemerkenswerte,
musikalisch meist außerordentlich wertvolle Vor-Bach'sche Orgelmusik
(Frühbarock), für welche sich in den letzten Jahren ein andauernd steigendes
Interesse bemerkbar macht, stilecht spielen zu können, sind 11 Register
der Orgel zum Teil nach den Angaben des um 1600 lebenden Musik- und
Orgelgelehrten Prätorius, zum Teil nach den entsprechenden alten Registern
der Johanniskirche zu Lüneburg gebaut. Die Wiederbelebung dieser alten
Stimmen ist erst vor einigen Jahren erfolgt, den Anstoß hierzu gab die
von der Firma Walcker auf Anregung von Professor Gurlitt für das Freiburger
musikwissenschaftliche Institut erbaute Prätorius-Orgel. Wer einmal
Gelegenheit gehabt hat, diese alten Register zu hören, wird sich ihrem
Klangzauber nicht haben entziehen können und wird sich vielleicht gefragt
haben, weshalb der Orgelbau von der Herstellung dieser wundervollen
Stimmen jemals abgegangen ist. Es hat sich aber gezeigt, daß diese alten
Stimmen sich auch für moderne Orgelmusik (Reger) wegen ihrer ganz typischen
Klangfarbe ganz vorzüglich eignen. Es wird hierdurch die Orgel als Solo-Instrument
in ihrem Farbenreichtum in ungeahnter Weise bereichert. 14 Register,
wie oben erwähnt, meist dem ersten Manual angehörend, sind nach Gottfried
Silbermann, dem bedeutenden Zeitgenossen Bachs und einem der besten
Orgelbaukünstler aller Zeiten, intoniert.
Zur besseren dynamischen Beweglichkeit des Klanges sind die Register
des 2., 3., 4. Manuals und des Fernwerks in je einem Schwellkasten mit
beweglichen Jalousien eingeschlossen; die Stimmen des Hauptmanuals (I),
sowie die starken Stimmen des Pedals stehen dagegen frei, damit sich
ihr Klang ungehindert entfalten kann. Zur weiteren günstigen Beeinflussung
der Tonentwicklung wurde von vornherein ein sehr geräumiger, als mustergültig
hinzustellender Orgelraum geschaffen, welcher so hoch gelegen ist, daß
der Klang ungehindert über Chor und Orchester hinwegfließen kann; ferner
wurde auf den üblichen Pfeifenprospekt (Tonfresser!) verzichtet und
statt dessen der Abschluß des Orgelraumes gegen den Saal durch horizontale,
feststehende Jalousien von genügend weitem Abstand bewirkt.
Zusammenfassend kann gesagt werden, daß die Orgel des Hans-Sachs-Hauses
durch Auswahl, Mensurierung und Verteilung ihrer klingenden Stimmen
jedem musikalischen Bedürfnis gerecht zu werden in der Lage ist; die
Musik des 17. Jahrhunderts wird auf ihr ebenso stilecht vorgetragen
werden können, wie die Werke der modernen Komponisten.
DER SPIELTISCH.
Wenn man an andern großen Orgeln oft sieht, mit welcher Unzahl von Spielhilfen
(Knöpfen, Tritten, Hebeln usw.) der Spieltisch überladen ist, wie unübersichtlich,
unlogisch und deshalb verwirrend dieselben oft angebracht sind und wie
sie infolgedessen von vielen Spielern nur zu einem kleinen Teil benutzt
werden, so war es gegeben, bei der Hans-Sachs-Haus-Orgel, deren klanglicher
Aufbau so eingehend durchgearbeitet worden war, auch der Spieltischfrage
eine ganz besondere Aufmerksamkeit zu widmen. Oberster Grundsatz war,
ihn unter Weglassung aller überflüssigen Zutaten nur mit den notwendigen
Spielhilfen auszustatten und dieselben so übersichtlich wie möglich
anzuordnen.
Der Spieltisch ist in seiner Wirkungsweise rein elektrisch, alle Betätigungen
beim Herunterdrücken der Tasten, bei der Bedienung der Registerzüge
und Druckknöpfe erfolgen nach dem Prinzip des Telegraphen. Die Verbindungsdrähte
zwischen Spieltisch und Orgel sind zu einem starken, biegsamen Kabel
zusammengefasst, wodurch der für Konzertzwecke unschätzbare Vorteil
gegeben ist, den Spieltisch an jeder beliebigen Stelle des Podiums und
(bei szenischen Aufführungen) auch im Saal aufstellen zu können. Bei
dem Zusammenwirken mit Chor und Orchester wird der Organist nicht mehr
auf den Notbehelf einer Verständigung durch Spiegel angewiesen sein,
sondern sitzt direkt vor dem Dirigenten; bei Solovorträgen wird der
Spieltisch da stehen, wo bei Klavierabenden der Flügel zu stehen pflegt,
sodaß ein unmittelbarer Kontakt zwischen Spieler und Hörer möglich ist.
Der Strom für die sogenannte "elektrische Traktur" wird durch eine kleine
Schwachstrommaschine erzeugt, welcher eine zweite als Reserve beigegeben
ist.
In der Mitte des Spieltisches liegen die vier Manualklaviaturen terrassenförmig
übereinander, zu welchen unten als fünfte Klaviatur das Pedal hinzutritt.
Der Umfang der Manuale geht von C bis c'''', derjenige des Pedals von
C bis ''. Die Registerzüge für die klingenden Stimmen sind als Kipptasten
ausgebildet und liegen teils zu beiden Seiten der Klaviaturen, teils
in der Mitte darüber. An wertvollen Hilfseinrichtungen besitzt der Spieltisch
u. a. vier "freie Kombinationen": über jeder Registertaste liegen nämlich
vier kleine, verschiedenfarbige Zugknöpfchen, mit welchen sich der Spieler
vorher vier verschiedene Registerkombinationen einstellen kann. Dieselben
treten abwechselnd und erst dann in Kraft, wenn ein entsprechender Druckknopf
gleicher Farbe unterhalb des ersten Manuals betätigt wird, was während
des Spieles ohne weiteres möglich ist. Man ist also in der Lage, sich
die wichtigsten Kombinationen eines Konzertvortrages vorher vorzubereiten,
wodurch Stockungen und überlange Pausen in den Vorträgen selbst vermieden
werden.
Als Knöpfe zwischen den Manualen bezw. als Fußtritte sind die "Koppeln"
ausgebildet, mit welchen der Spieler die Stimmen mehrerer Manuale, sowie
diejenigen der Manuale und des Pedals miteinander verkoppeln kann, eine
ungeheure Bereicherung der klanglichen Möglichkeiten. Ferner wird mit
dem Fuß die sogenannte "Registerwalze" bedient, durch deren Drehung
die gesamten klingenden Stimmen der Orgel in wohlgeordneter Reihenfolge
nacheinander ein- und ausgeschaltet werden können, sodaß ein gewaltiges
Crescendo bzw. Decrescendo ermöglicht wird. Rechts von der Registerwalze
liegen die "Schwelltritte" zum Offnen und Schließen der Schwelljalousien.
Erwähnenswert ist ferner eine "automatische Pedalumschaltung", durch
welche sich die Pedalklangfarbe selbsttätig auf eine neue, vorher einstellbare
und einem anderen Manual angepaßte Klangfarbe ändert, sobald der Spieler
auch nur EINE Taste dieses Manuals berührt. Zur schnelleren Registrierung
dienen ferner noch sogenannte "Abstoßer", welche eine eingestellte Kombination
mit EINER Bewegung wieder auflösen.
Etwas grundsätzlich Neues hat der Spieltisch in der Wirkungsweise seiner
Hilfseinrichtungen erhalten; sie wirken alle - nach dem System Jung-
"positiv". Darunter ist folgendes zu verstehen: für den Spieler besteht
während eines Vertrages häufig die Notwendigkeit, gewisse Stimmgruppen
abzuschalten, z. B. die 16'-Stimmen, die Zungenstimmen, die Registerwalze
usw. Hierfür hat man bisher "Absteller" gebaut, Druckknöpfe, welche
beim Hineindrücken eine abstellende, also negative Wirkung haben. Wenn
man nun bedenkt, daß die meisten anderen Spielhilfen "positiv" wirken,
d. h. beim Hineindrücken eine hinzufügende Wirkung haben, so ergab sich
für die bisherigen Spieltische, besonders bei großen Orgeln, immerhin
die Gefahr einer Unübersichtlichkeit insofern, als der Spieler gleichzeitig
Spielhilfen mit positiver und negativer Wirkung vorfand. Dieser Mißstand
ist bei dem Spieltisch der Hans-Sachs-Haus-Orgel beseitigt, alle Betätigungen
wirken in EINER Richtung. Die Durchführung dieses Grundsatzes sei deshalb
besonders betont, weil es u. W. DAS ERSTE MAL ist, daß in einer deutschen
KONZERTORGEL dieses Einheitsprinzip vollkommen konsequent zur Anwendung
gelangt ist. Die Firma Walcker hat es in Berlin an zwei Kirchenorgeln
sowie einer Orgel in Privatbesitz bereits angewandt, wo es die lebhafte
Zustimmung aller Fachkreise gefunden hat.
Mit diesen Ausführungen sind im wesentlichen diejenigen Einzelheiten,
welche auch für den dem Orgelbau fernstehenden Musikliebhaber verständlich
und wissenswert sein dürften, dargelegt. Es sollte vor allem gezeigt
werden, zu welchen Erkenntnissen und Leitgedanken die moderne Orgelbauforschung
gelangt ist und in welcher Weise dieselben dem Entwurf und Aufbau der
Hans-Sachs-Haus-Orgel zugrunde gelegt worden sind, damit sie nicht ein
Durchschnittsinstrument, sondern ein erstklassiges Kunstwerk werde.
Die am Bau des Instrumentes Beteiligten haben den Wunsch, daß diese
Orgel mit ihrem unerschöpflichen und alle Stilrichtungen umfassenden
Klangfarbenreichtum als unentbehrliches Glied des Musiklebens der Stadt
Gelsenkirchen allen Musikfreunden beglückende Stunden vermitteln und
dem viel zu wenig bekannten Schatz an wertvoller Orgelmusik zur verdienten
Wiederbelebung verhelfen möge.
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