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  Presseberichte
  Ruhr-Nachrichten, 16.04.1988

Notre-Dame-Organist Philippe Lefebvre im Hans-Sachs-Haus

Ein Meister der Improvisation

Altstadt. Im städtischen Orgelkonzert war einer der bekanntesten Konzertorganisten Frankreichs zu Gast: Philippe Lefebvre. seit 1985 Titelorganist an Notre Dame in Paris. Lefebvre begann mit Bachs Passacaglia und Fuge c-Moll, einem Werk, das die Passacaglientechnik der Barockzeit auf eine kunstvolle Höhe steigert. Der Strenge der Komposition angemessen, registrierte Lefebvre das Stück mit gleichwertig starken Prinzipalstimmen; nur den durchbrochen arpeggierten Mittelteil setzte er - wie eine Insel - mit Flötenregistern davon ab.

Kraftvoll intonierte Lefebvre auch den großen Hauptsatz von Mendelssohns dritter Orgelsonate A-Dur. Hier wie bei Bach war das brillante, vorwärtstreibende Spiel des Organisten zu bewundern; musikalische Steigerungen erreichte er hier vor allem durch ein unmerkliches Anziehen des Tempos auf lange Strecken hin. Beide Stücke sind indessen weniger geeignet, um die charakteristischen Vorzüge der Hans-Sachs-Hausorgel herauszustellen.

Das ist bei den beiden Werken, die Lefebvre von Cesar Franck spielte, freilich in besonderem Maße der Fall: das "Cantabile" balancierte der Organist in feinen unterschiedlichen Farbmischungen aus -und im "Piece heroique" nutzte er Francks assoziativen Einfallsreichtum zu einer phantasievollen Registrier- und Spielweise, die der Musik fast einen frei improvisierten Anschein verlieh.

Damit verschaffte sich Philippe Lefebvre einen nahtlosen Übergang zum letzten Punkt seines Programms: einer eigenen Improvisation. Vor allem als Improvisateur gewann der Künstler verschiedene große Orgelpreise - und so durfte man hier besonders gespannt sein, zu welcher Musik das Gelsenkirchener Jugenstil-Instrument den Franzosen inspirieren würde.

Orgelkustos Karl-Heinz Obernier übergab Lefebvre ein Notenblatt mit einem ihm unbekannten Thema - einer Melodie in Moll - und nach einigem Nachdenken begann der Franzose zu improvisieren. Er kleidete das Thema keineswegs in tonale Harmonien, sondern verfremdete es sogleich durch ein Geflecht von ostinaten Klangschichtungen, die er im Verbund machtvoll steigerte -und in die hinein er das Thema als eine Art Cantus bettete. Lefebvre machte überdeutlich, daß er das gegebene Thema mit seiner Hinzuerfindung von kontrapunktierenden Materialien in eine ganz andere, viel komplexere Dimension zu überfahren vermochte. Faszinierend war aber nicht allein der spontane Gestaltungsreichtum, der sich zu einer dreiteiligen Großform weitete, sondern vor allem vernahm man mit Staunen, was so ein Improvisationsmeister aus dem Gelsenkirchener Instrument an bislang angehörten Farbwerten und Klangkombinationen herauszuholen vermochte.

Heinz-Albert Heindrichs

   

 

 

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