Gutachten von Prof. Dr. Rudolf
Reuter,
Musikwissenschaftliches Seminar der Universität Münster,
Orgelwissenschaftliche Forschungsstelle, 8.7.1973
Die Orgel des Hans-Sachs-Hauses von 1927 ist trotz ihrer
späten Entstehungszeit ein kulturhistorisches Dokument ersten Ranges.
Während die
verschiedenen Epochen der Orgelmusik seit dem Beginn der Neuzeit
durch charakteristische Instrumente, meistens in größerer Zahl
dokumentiert sind, ist die Zeit einer frühen Orgelbewegung (etwa
1910-1935) nur in ganz wenigen erhaltenen Instrumenten vertreten.
Die Orgel dieser Zeit war noch nicht überwiegend vom Vorbild der
Barockorgel her geprägt, sie war vielmehr eine eigenständige
Entwicklung der romantischen Orgel unter Ausnutzung der modernen
technischen Möglichkeiten. Die wenigen Instrumente aus dieser Epoche
der Orgelreform, die den Bombenkrieg überstanden haben, sind fast
ausnahmslos entweder durch sogenannte Klangverbesserungen entstellt und zu wertlosen Zwittergebilden geworden, oder sie sind inzwischen durch moderne Instrumente ersetzt worden. Unveränderte Instrumente aus dieser Zeit - wie etwa die Hans-Sachs-Orgel - sind deshalb weit seltener als etwa Orgeln aus der Barockzeit.
Die große Orgel des Hans-Sachs-Hauses wurde 1927 unter Auswertung der Erfahrungen gebaut, die man beim Bau der leider vernichteten, damals weltberühmten und richtungsweisenden Dortmunder Reinoldi-Orgel gewonnen hatte. Glückliche Umstände und vor allem die kluge Voraussicht der Gelsenkirchener Stadtväter haben das Instrument bis zum heutigen Tage erhalten. Die weitere unveränderte Erhaltung dieser Orgel sollte die Stadt Gelsenkirchen als eine wichtige kulturelle Aufgabe ansehen.
Nur die gesamte technische Anlage ist überholungsbedürftig; speziell die Traktur, die elektropneumatische Verbindung von der Taste bis zur Pfeife bedarf einer weitgehenden Erneuerung.
Im Interesse der Qualität und der Originalität des Klanges sollte man die inzwischen veränderten akustischen Verhältnisse des Hans-Sachs-Hauses im ursprünglichen Sinne revidieren. Hier wären sogar akustische Verbesserungen gegenüber dem Originalzustand von 1927 denkbar.
Dagegen müßte man jeden Versuch unterbinden, den originalen Klangaufbau des Orgelwerkes durch sogenannte "Klangverbesserungen" zu verändern. Eine solche Veränderung würde nicht nur den praktischen und dokumentarischen Wert der Orgel herabsetzen, sie wäre auch gleichzeitig der entscheidende Schritt zur Vernichtung der Orgel. Wenn man die Orgel vom jetzigen Platz entfernt, hat sie nur noch einen relativ geringen materiellen Wert, ein Wiederaufbau an anderer Stelle wäre mit erheblichen Kosten verbunden, als Kulturdokument wäre das Instrument nicht mehr anzusprechen, weil es ganz speziell für seinen Raum konzipiert wurde.
Ich darf meine Empfehlung noch einmal zusammenfassen: 1. Unveränderte Erhaltung der Disposition, des Pfeifenwerkes, der Windladen- und Spieltischfunktion. 2. Erneuerung der technischen Anlage im Interesse einer zuverlässigen und präzisen Funktion. 3. Wiederherstellung, falls nicht möglich annähernde Wiederherstellung der durch Einbauten gestörten Klangabstrahlung.
(Prof. Dr. Rudolf Reuter)
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