Deutschlands grösste Orgel wieder in Betrieb
Blinder Organist eröffnete neuen 2000-Plätze-Konzert-Saal
Die Stadt: Gelsenkirchen hat es in dieser Notzeit fertiggebracht, in dem arg
verwüsteten Hans-Sachs-Haus einen großen Konzertsaal für weit über 2000 Zuhörer
zu schaffen. Die "neue Sachlichkeit" seiner Innenarchitektur ist wohl nur ein
Provisorium, aber der mächtige Vorhang in Silber und Brandrot wirkt vornehm und
zeugt von kultiviertem Geschmack.
Am letzten Dienstag wurde dieser Konzertsaal der Öffentlichkeit übergeben. Das
geschah (mit einer kleinen Verspätung von 20 Min.) in Form einer Feierstunde,
über der der Name Johann Sebastian Bach stand. Das war der Mann, bei dem die
Musik anfängt und aufhört.
Bach aber ist ohne Orgel nicht denkbar. Gelsenkirchen hat eine solche wie sie
keine Stadt in Deutschland hat. Diese Kostbarkeit vor der Kriegsverwüstung
sichergestellt zu haben, (man trug den Pfeifenwald ab und verlagerte ihn
bombensicher bei Paderborn) ist eine kulturelle Tat, zu der man die
Gelsenkirchener beglückwünschen muß. Das Riesenwerk mit 5 Manualen (jedes ist
eine Orgel für sich, mit eigenem Klangcharakter) 92 Registern, 22 Koppeln und
über 20 Registerhilfen, muß einem Durchschnittsorganisten angst und bange
machen. Es ist kaum auszudenken, welche Entwicklung die Kirchenmusik genommen
hätte, wenn dem Thomaskantor eine solche Orgel zur Verfügung gestellt worden
wäre Tatsächlich entfaltet sie unter den Händen eines Meisters und in diesem
Saal mit Kirchenhöhe eine Kraft, eine klangliche Schönheit und einen
Farbreichtum ohnegleichen. Die Macht dieser Orgel ist so groß, daß sie in kurzer
Zeit die Illusion des Saales aufhebt und den Zuhörer in eine sakrale Stimmung zu
versetzen vermag.
Für die Feierstunde hatte man den blinden Frankfurter Organisten Prof.
Helmut-Walcha eingeladen. Es zeigte sich bald, daß er nicht nur den
komplizierten Mechanismus souverän beherrscht, sondern auch neben Ramin und
Sittard in Ehren bestehen kann.
Er spielte zwei Tokkaten (mit Fuge), zwei große Präludien (mit Fuge), die
Trio-Sonate Nr. l (Es-dur) und drei Choralvorspiele. Eine Kritik an der
Darbietung kann nur zum Ausdruck bringen, daß hier Höchstes und Letztes an
Orgelkunst geboten wurde. In diesem glasklaren Spiel, der übersichtlichen
Stimmführung, die scheinbar mühelos das feinmaschige Gewebe entfalteten, konnte
auch der musikalische Laie unschwer erkennen, daß die Bachsche Fuge keineswegs
eine so komplizierte Angelegenheit, eine Art Superkunst ist, als die sie immer
hingestellt wird, sondern nichts als die fast geheimnisvolle Entfaltung und
Entwicklung einer oft schlichten musikalischen Idee. Dabei hielt sich Walcha
fernab von jenem kaltkonzertanten Bachspiel, das heute Mode geworden ist. Ergab
bei aller Virtuosität doch immer den "frommen Bach" und mit den überfeinerten
Sinnen des Blinden kam in seinem Vortrag neben der Weite und Klarheit der
Gestaltung, neben dem Verlorensein an die Andacht, doch auch jener Bach zu
Worte, der "fröhlich in Gott" ist. Das Ganze war ein Erlebnis.
Willibald Omansen
Vor dem Konzert sprach der Gelsenkirchener Oberbürgermeister Geritzmann, der mit
berechtigtem Stolz auf das gelungene Werk hinwies und allen dankte, die an der
Fertigstellung der Orgel und des Raumes ihren Anteil gehabt haben; dabei betonte
er, daß es eine Arbeiterstadt sei, die dieses bedeutende Kulturmal besitze. Als
zweiter Redner war Ministerpräsident Arnold versprochen worden, aber für die
Stunde unabkömmlich. An seiner Stelle pries Ministerialdirektor Koch die Kunst
des Orgelspieles und sagte, daß mit diesem Instrument die Stadt "ihre Seele
wiederbekommen" habe. Die Landesregierung danke der Stadt für diese Leistung.
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