Klangfülle der
Orgel ausgekostet
Der sowjetische Organist Harry
Grodberg am restaurierten Walcker-lnstrument
GELSENKIRCHEN. In der neuen Reihe
der Orgelkonzerte an der aufwendig: restaurierten und
modernisierten Walcker-Orgel im Hans-Sachs-Haus stellte sich
mit Harry Grodberg ein Organist aus der Sowjetunion vor. Wer
sich im 2. Sinfoniekonzert bereits von den reichen Registrier-
und Klangmöglichkeiten dieser Orgel überzeugt hatte, konnte
nun seine ganze Aufmerksamkeit einer weiteren Novität widmen:
der Gelsenkirchener Erstaufführung von Komponisten
sowjetischer Zeitgenossen.
Mikael Tariweriew
und Oleg Nizenburg zählten in ihrer Heimat zu den bekanntesten
lebenden Komponisten. Folgt man dem Programmheft, so stellt
man mit Verwunderung fest, daß erst in den sechziger Jahren
unseres Jahrhunderts ein russischer Organist, nämlich der
Solist des Abends, die Orgelwerke Bachs in der Sowjetunion
vorgestellt hat. Vielleicht erklärt dieser offenkundige Mangel
an russischer Orgeltradition Grodbergs Engagement für die
Werke Bachs. Vielleicht liegt es aber auch an der
Deutschstämmigkeit des gebürtigen Memelers, der es sich nicht
nehmen ließ, einige Worte an das nicht eben zahlreiche
Publikum zu richten.
Vornehm-orthodoxe Zurückhaltung kennzeichnete
Grodbergs von kundiger Hand (seiner Gattin?) registrierte
Bach-Interpretation. Präludium und Fuge C-Dur und die Toccata
mit Fuge in d-Moll waren im ersten Teil des Konzertes zu
hören. Eigentümlich erschien die nach Bachs Hinweisen
vorgenommene Registrierung der Toccata mit ihrer enormen
Steigerung und Temperamentausbrüchen in den
Fugendurchführungen und Codi (Grodberg singt hier wie weiland
Gould bisweilen mit).
Ganz in der Bachschen Tradition blieb die
vorwiegend polyphon strukturierte zeitgenössisch-russische
Musik .des zweiten Programmteils. So "Kassandra" von Mikael
Tariweriew, der sich nach über 90 Filmmusiken auch in diesem
Konzert von romantizistischer Klangmalerei nicht ganz frei
machen kann. Besonders in der Intrade mit einer
düster-bedeutungsschweren Ausdeutung der Kassandra-Thematik
fiel dies auf. Grodberg schichtete über bedrohlich
schreitendem Baß wuchtig-dissonierende Akkordblöcke.
Auch Oleg Nizenburgs "Fantasie über ein
russisches Thema" läßt in der fugierten Verarbeitung das große
Vorbild Bachs erkennen. Eine Grodberg-Bearbeitung eines
Präludiums und einer Fuge aus einer Reihe von Klavierpräludien
und Fugen Schostakowitschs, der für Orgel an sich nichts
komponiert hat, beschloß den Abend. Ein "Bach-Stück russischer
Art" nannte sie Grodberg in einer kurzen Ansprache.
Hier war er wieder ganz in seinem "Element".
Noch einmal. demonstrierte er die ganze Klangfülle der
Walcker-Orgel.
Karl
Müller-Holland |