Aus dem amtlichen Abnahme-Gutachten von 1927
Von Musikdirektor
Holtschneider, Dortmund
"Mit großer Spannung und
Erwartung sieht heute eine ganze Bevölkerung, besonders in den Industriestädten
einen Orgelbau entstehen. Vorführungen auf diesem Instrument haben,
nachdem die Königin der Instrumente Eingang in die Konzertsäle gefunden
hat, an Beliebtheit außerordentlich zugenommen. Die Messehalle in Köln,
die Stadthallen zu Recklinghausen und Mülheim können die Besucher kaum
fassen, besonders, wenn Meister wie Sittard, Heitmann, Bachem, Boell,
Bunk u. a. mit alter und zeitgenössischer Literatur die Hörer beglücken.
Die Einwohnerschaft der
Stadt Gelsenkirchen-Buer hat nun dank ihrer großzügigen Stadtverwaltung
in dem wundervollen Konzertsaal ihres Hans-Sachs-Hauses eine Orgel der
Firma E. F. Walker u. Co., Ludwigsburg, erhalten, welche durch die Einheitlichkeit
ihres Aufbaues und klangliche Auswirkung ihresgleichen sucht und zur
Zeit von keiner übertroffen wird.
Durch frühzeitige Inangriffnahme
des Projektes und beste Zusammenarbeit zwischen Sachverständigen und
erbauender Firma war eine vollkommene Ausreifung bis in die kleinsten
Einzelheiten möglich, so konnte in der Frage der räumlichen Aufstellung,
der Disposition und der Spieltischeinrichtung die jeweils beste Lösung
gefunden und ausgearbeitet werden.
Die Aufstellung des Pfeifenwerkes
geschah nicht, wie sonst übereinander, sondern nebeneinander um die
drei Seiten des Podiums und in genügender Höhe, wodurch eine ungehemmte
Klangentwicklung gewährleistet wurde.
Die Disposition (91 Register
auf vier Manualen und ein Pedal) ist wie aus einem Guß nach einem scharf
ausgeprägten Plan aufgebaut. Jedes Manual ist eine besondere Orgel mit
spezifischem Klangcharakter. Über den Aufbau der Disposition ist die
Gelsenkirchener Öffentlichkeit durch einen zur Saaleinweihung erschienenen
Aufsatz des Herrn Dr. Ing. Herbert Briefs, des hochverdienten Förderers
des ganzen Unternehmens, eingehend unterrichtet worden. Es soll hier
nur bestätigt werden, daß der angestrebte Klangcharakter der einzelnen
Klaviere bei möglichst sparsamer Belegung mit klingenden Stimmen in
idealer Weise erreicht worden ist. Der volle Grundklang 1, die helle
Beweglichkeit von 2, der leicht streichende Charakter von 3, die majestätische
Fülle von 4, die ungemein fundamentale und ausgiebige Wirkung des Pedals
und schließlich der helle, runde Klang des ebenfalls von 4 aus spielbaren
Fernwerks. Die von Herrn Dr. Oskar W a l k e r gestiftete Celesta im
4. Manual ist eine willkommene Ergänzung für moderne Orgelmusik und
für Orchesterspiel. Das für die Gesamtwirkung wesentliche Verhältnis
von Grundstimmen zu Obertonregistern und Zungenstimmen ist mit 52 :
18 Prozent ein sehr günstiges.
Die klangliche Auswirkung
des Instrumentes ist auch dank der überaus glücklichen Akustik des Sales
im ganzen ausgiebig gesättigt, weich, durchsichtig, im einzelnen ungemein
charakteristisch, vornehm, von seltener Schönheit und Mannigfaltigkeit.
Die "historischen" Stimmen verschmelzen in bester Weise mit dem übrigen
Klangkörper und sind gleich gut für alte und neue Orgelmusik geeignet.
Die Anpassung des Gesamtklanges an die Saalverhältnisse aus aufs beste
gelungen. Der Ersatz des früher üblichen Pfeifenprospektes durch ein
horizontales Lattengitter vom klanglichen Standpunkt aus lebhaft zu
begrüßen.
Der rein elektrische, fahrbare
Spieltisch, äußerlich ein architektonisches Kunstwerk, bedarf einer
besonderen Erwähnung. Er besitzt alle notwendigen, aber keine überflüssigen
Spielhilfen in vollkommen logischer Anordnung und Wirkungsweise. Hier
ist zum ersten Mal an einer deutschen Konzertorgel "positive System"
angewandt worden, bei welchem in strengster Konsequenz alle Register
und Spielhilfen nach einer Richtung wirken und jede negative, d.h. abstellende
Betätigung, in Wegfall kommt. Den beiden Sachverständigen, Herrn Dr.
Briefs, Gelsenkirchen-Buer und Herrn Gerard Bunk, Dortmund, ist für
den Mut zu danken, mit welchem sie für diese Neuerung eingetreten sind;
denn gegenüber den bisherigen Spieltischen, welche positiv und negativ
wirkende Züge durcheinander besitzen erfordert das hier angewandte System
zwar eine gewisse Umstellung des Spielers, die aber dem denkenden Künstler
keine Schwierigkeiten bereitet. Der endgültige Sieg muß diesem System
beschieden sein, weil es streng logisch aufgebaut ist und die Vorteile
in die Augen springen.
Es bedarf keiner besonderen
Erwähnung, daß auch alle übrigen Teile der Orgel, wie Gebläse, Windkanäle,
Windladen, Jalousieschwellen, Traktur usw. in tadellosem Zustand abgeliefert
sind.
Für mich war es ein ehrenvoller
Auftrag, von der Stadtverwaltung mit der Abnahme des Werkes betraut
zu sein. Nach einer mehrtägigen Prüfung in klanglicher und funktionstechnischer
Beziehung ist das Resultat eine restlose Zufriedenheit in jeder Hinsicht.
Die Orgelbaufirma E. F. Walker, Ludwigsburg, hat hier ein Meisterwerk
allerersten Ranges geschaffen, das sich zur Wiedergabe aller Stilrichtungen
eignet, heute unübertroffen dasteht und richtunggebend für zukünftige
Konzertorgeln ist.
Die Sachverständigen-Kommission,
die Herren Bunk und besonders Dr. Briefs dürfen in diesem Protokoll
nicht unerwähnt bleiben. Sie haben sich um Disposition und um die Schaffung
des in mancher Beziehung neuen Orgeltyps sehr verdient gemacht.
Der Stadtverwaltung Gelsenkirchen
gebührt Dank für diese künstlerische Großtat. Wäre sie nicht für sofortigen
Ausbau des ganzen Projektes eingetreten, so wäre ein Stückwerk entstanden.
So aber besitzt die Stadt Gelsenkirchen-Buer in ihrem Hans-Sachs-Haus
eines der bedeutensten Meisterwerke deutscher Orgelbaukunst. Die Stadt
kann des Dankes Tausender gewiss sein, die zum Hans-Sachs-Haus pilgern,
um zu sehen, zu hören und zu staunen."
gez.: Musikdirektor
Holtschneider, Dortmund
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