Auszug aus: Martin Kuhnt
Bestandsaufnahme
Pfeifenwerk der Walcker-Orgel im Hans-Sachs-Haus, Gelsenkirchen
Dezember 2002
|
Gutachten im Auftrag der Firma Romanus Seifert und
Sohn |
[S.4] Als die Orgel
1927 erbaut wurde, hatte sie 92 Register, verteilt auf vier Manuale
und Pedal, zusätzlich zahlreiche Koppeln und Nebenregister(1).
In den Jahren des 2. Weltkrieges lagerte man die Orgel aus Sicherheitsgründen
aus. Beim Wiedereinbau in den Konzertsaal 1949/50 erfolgte ein erster
Eingriff im Pfeifenwerk. Dieses wurde der höher liegenden, bislang
nicht ermittelten, Orchesterstimmung angepasst.
|
|
- Offene, teilweise auch gedeckte Holzpfeifen wurden
abgeschnitten, Expressionsschlitze nach unten verlängert und die Stimmschieber
versetzt.
- Im Metallpfeifenwerk rollte man die Stimmrollen in
den Expressionen weit auf, teilweise bis zum Ende der Anrisse.
- Gedeckte und auf Länge geschnittene
Metallpfeifen wurden größtenteils abgeschnitten, auch die Zungenbecher.
|
|
Eine Umintonation oder
Veränderung der Winddrücke erfolgte beim Wiedereinbau der Orgel wohl
nicht. Auch die Disposition blieb weitgehend unverändert. Im Opusbuch
finden sich zu einigen gemischten Stimmen Änderungsvorschläge, die
dem Kostenvoranschlag vom 09.03.1950 entnommen sind. Heute finden
sich in den Teilwerken zumeist die originalen Zusammensetzungen der
gemischten Stimmen. Der große Anteil erneuerter Chöre und Pfeifen
spricht dafür, dass hier die Änderungen 1950 vorgenommen wurden, in
den achtziger Jahren aber eine Rückführung stattfand. Weiterhin lassen
sich einzelne Pfeifenergänzungen in den Diskantlagen hoch liegender
Register heute nachweisen.
|
|
1974 wurde im Zuge der
Umgestaltung des Konzertsaals das Fernwerk ausgebaut. In den achtziger
Jahren erfolgten in mehreren Abschnitten weitere Baumaßnahmen. Unter
anderem wurden die Traktur, der Spieltisch und die Windanlage entfernt
und auf den damaligen Stand der Technik gebracht. Die Taschenladen
ersetzte man durch Schleifladen. Auch ein Großteil des alten Lagerwerks
wurde erneuert. Die Verwendung neuer Windladen machte auch eine Vergrößerung
der Disposition möglich. So wurde das seit dem Wegfall des Fernwerks
auf 81 Register reduzierte Werk auf 93 Register erweitert.
|
|
[S.16] Anfang der
neunziger Jahre entschloss man sich dazu, die Orgel der aktuellen
- jetzt tieferen - Orchesterstimmung wieder anzupassen. Aufgrund beschränkter
finanzieller Mittel führte man die Änderungen mit oft sehr pragmatischen
Mitteln vor Ort aus.
|
|
- Die weit aufgerollten Stimmrollen wurden wieder ein
Stück zurückgerollt. Dadurch entstanden an den Stimmrollenrissen offene
Fugen, was die Stimmhaltung negativ beeinflusst. Oft behalf man sich
damit, dass man diese Fugen mit Klebstoff verschloss. Bei einigen
Pfeifen hat man die Expression zugelötet und eine neue, in der Regel
breitere Expression mit Stimmrolle eingeschnitten bzw. eingelötet.
- Die auf Länge geschnittenen und nach dem 2. Weltkrieg
gekürzten Pfeifen versah man rechts und links des Aufschnitts mit
Stütznähten und zog die Pfeifenmündungen sehr stark ein, um die gewünschte
Stimmtonhöhe zu erreichen.
- Die Hüte der gedeckten und rohrgedeckten Metallpfeifen
wurden bei der Umstimmung wieder nach oben geschoben und sitzen bei
den größtenteils abgeschnittenen Pfeifen nur knapp auf der Pfeifenmündung,
teilweise sind die Hüte mit einem Klebstoffpunkt fixiert. Bei den
Metallgedackten behalf man sich auch zur tieferen Stimmung mit dem
Beidrücken der Seitenbärte.
- Bei offenen Holzpfeifen finden sich Holzrollen, Keile
und Plättchen in bzw. auf den Pfeifenmündungen.
- Die Stimmbleche der Halbgedeckten wurden sehr weit
auf die Pfeifenmündungen gebogen.
- Die Stöpsel der gedeckten Holzpfeifen sitzen bei
abgeschnittenen Pfeifen kurz vor der Pfeifenmündung, bei originaler
Pfeifenlänge tief im Pfeifenkörper.
|
|
|
[S.17] Insgesamt
ergibt sich heute ein desolates Bild des Pfeifenwerks, vor allem im
Bereich der Metallpfeifen. Zahlreiche Pfeifen sind neben den Veränderungen
durch die mechanischen Einwirkungen bei der Umstimmung und späteren
Wartungsarbeiten stark beschädigt. Hiervon betroffen sind auch die
Pfeifenfußlöcher. Diese sind in der Regel erweitert worden. Das Metallpfeifenwerk
weist zahlreiche kleinere und größere Beulen auf.
Positiv zu bewerten ist, dass kaum Eingriffe an den Kernen und hier
im besonderen den Kernstichen vorgenommen wurden. Auch die Aufschnitthöhen
sind nur vereinzelt nachgeschnitten und nicht systematisch erhöht
worden.
|
|
In der Grundsubstanz ist
das Holz- und Metallpfeifenwerk solide gefertigt. Durch die eingravierten
Signaturen bei jeweils der ersten Zinn/Blei-Pfeife lassen sich die
Pfeifenmacher der Metallpfeifenregister weitestgehend nachweisen.
Zinkpfeifen befinden sich bei Metallpfeifenregistern bis Mitte und
Ende der 4’- Lage, bei Bachflöte und Schwiegel auch noch in der 2’-Lage.
Die Zinkpfeifen besitzen angelötete Fußspitzen aus Zinn/Blei-Legierung.
Auch die Spitzlabien und Stimmrollen sind aus Zinn/Blei und eingelötet.
|
|
Die Zinn/Blei-Pfeifen
haben gerissene Spitzlabien, Konzert- und Orchesterflöte nur seitlich
angerissene Labien. Eine Ausnahme bildet Dulciana 8’ aus dem I. Manualwerk.
Von c°-h’ wurden 1927 Pfeifen aus Fremdbestand mit gerissenen Rundlabien
eingestellt. Neben den angelöteten Seitenbärten sind auch Aufschnittbärte
vorhanden, vor allem bei den Principalen. Hier wurden aus dem Aufschnittmaterial
kleine Bärte gebildet. Mittlerweile sind ein Grossteil dieser Bärte
abgebrochen oder entfernt worden, kurioserweise meistens auf der rechten
Seite. Dort wo die Aufschnittbärte fehlen, hat man den Eindruck, der
Pfeifenmacher hätte hier unsauber aufgeschnitten, da seitlich noch
etwas Material steht.
|
|
|
[S.18] Die Holzpfeifenkörper
sind in der Regel aus Nadelholz gefertigt, im Diskant der Manualwerke
finden sich auch Deck- und Rückseiten aus Birnbaumholz. Die Vorschläge
sind überwiegend ebenfalls aus Birnbaumholz, die Füße aus Buchen-
bzw. Eichenholz, lange Füße auch aus Nadelholz.
|
|
Bei den Lingualregistern
von 1927 sind die Becher aus Nadelholz (Kontrabasstuba 32’, Basstuba
16’ C-H), oder aus Zink bzw. Zinn/Blei. Metallstiefel bestehen aus
Zink und sind in der Form leicht konisch mit angelöteter Fußspitze
aus Zinn/Blei-Legierung. Kontrabasstuba 32’, Basstuba 16’, Dulcian
16’ C-f’’ und Klarinette 8’ C-c’’’ besitzen Holzstiefel.
Kontrabasstuba 32’, Basstuba 16’, Rankett 16’ C-gs’’’ und Fagott16’
C -H haben gedrechselte, Dulcian 16’ und Klarinette 8’ eckige Holznüsse,
alle weiteren Register Bleinüsse.
|
|
Die Kehlen und Zungenblätter
sind aus Messing, die Krücken aus Kupfer.
|
|
Sowohl von der Bauform,
der Materialauswahl, als auch von der Intonation her, haben die neu
eingefügten Register und Einzelpfeifen nichts mit dem Bestand von
1927 gemeinsam.
|
Die Labialpfeifen haben
gedrückte Spitzlabien, keine Expressionen und sind überwiegend ohne
Kernstiche. Die Intonation erfolgte auf "offenem Fuß".
|
|
Die neuen Linguale sind
in Form und Materialauswahl ebenfalls der Zeit entsprechend. Bei Trompete
16’ im Hauptwerk sind die Becher aus Naturguß und Kupfer, bei Rohrschalmey
8’ sind die Stiefel, Rohre und Aufsätze aus Messing.
|
|
|
Copyright für alle Fotos: Martin Kuhnt |