Die Konzertorgel im Musiksaal
des Hans-Sachs-Hauses.
Von Dr. Ing. Herbert Briefs, Gelsenkirchen
Wir veröffentlichten
bereits vor einigen Tagen einen Aufsatz über das Wunderwerk
der neuen Orgel im Konzertsaal
des Hans-Sachs-Hauses. Im Zusammenhang damit werden die nachfolgenden
Ausführungen von berufener Seite willkommen sein.
D. Red.
Nachdem die Stadt
Gelsenkirchen im Hans-Sachs-Haus einen Konzertsaal großen Ausmaßes
geschaffen hat, der dem musikalischen Leben unserer Stadt einen
würdigen Rahmen geben soll, bestand auch das Bedürfnis nach einer
Konzertorgel, die in ihren Größenverhältnissen dem Saal angepaßt
war und durch ihren Aufbau und ihre klanglichen Möglichkeiten
allen musikalischen Wünschen in vollkommener Weise gerecht zu
werden vermochte. Der Bau des Instrumentes wurde der größten deutschen
Orgelbauanstalt E.F.Walker&Co.,
Ludwigsburg, übertragen, aus deren Werkstatt die Orgel als Opus
2150 (!) hervorgeht. Für die Durchberatung aller Einzelfragen
zwischen der Erbauerin und den von der Stadt berufenen Sachverständigen
stand etwa ein Jahr zur Verfügung. In dem Entwurf sind sowohl
die Erkenntnisse und Erfahrungen berücksichtigt, die das Studium
klangschöner alter Orgeln der Bachschen und Vor-Bachschen Zeit
ergab wie auch alle künstlerisch wertvollen Errungenschaften der
neueren Orgelbauzunft.
Die Disposition
der Hans-Sachs-Haus-Orgel, d. h. die Auswahl der klingenden Stimmen
und ihre Verteilung auf die Manuale und das Pedal, ist nicht aus
einem kleinen Entwurf durch allmähliche Vergrößerung entstanden,
sondern in dem durch die Verhältnisse gebotenen Umfang von vornherein
als einheitliches Ganzes
erdacht worden. Der Entwurf geschah nicht allein nach
künstlerischen Gesichtspunkten,
sondern auch unter wirtschaftlichen
Rücksichten, indem jeden Register so vorgesehen wurde, daß es
in seiner Wirkung durch kein anderes zu ersetzen ist, und daß
im übrigen (bei einer Gesamtpfeifenzahl von 5.800) doch keine
Pfeife überflüssig in der Orgel vorhanden sein sollte.
Die Orgel hat 91 Register,
die sich auf 4 Manuale und 1 Pedal verteilen. Vom vierten (obersten)
Manual wird nicht allein das auf den 16-Fuß-Ton (Unteroktavlage)
aufgebaute Bombardemanual gespielt, sondern durch einfache Fußhebelumschaltung
auch das Fernwerk: bei dieser Umschaltung verstummt automatisch
das Pedal der Hauptorgel und es erklingen die entsprechenden Pedalstimmen
im Fernwerk.
Die einzelnen Manuale
unterscheiden sich im allgemeinen weniger durch ihre Klangstärke,
als gerade durch ihre verschiedene Klangfarbe, wie aus folgender
Aufstellung hervorgeht:
I. Manual:
Voller, weicher, durchsichtiger Grundklang: die 15 Register dieses
Manuals sind zum großen Teil nach dem Vorbild des bedeutendsten,
zu Bachs Zeiten lebenden Orgelbauers Gottfried Silbermann (1683-1753)
intoniert.
II. Manual:
Im Gegensatz zum I. Manual heller Flötentoncharakter, so daß diesem
mit 18 Registern besetzten Manual eine ganz besondere Biegsamkeit
und Beweglichkeit des Klanges eigen ist.
III. Manual:
Leicht streichender Charakter; die ‚Mensuren sind aber nicht so
eng gewählt, daß nicht eine vollkommene Verschmelzung des Klanges
mit dem der anderen Manuale gewährleistet wäre; es enthält 15
Register.
IV. Manual:
In diesem Manual sind vornehmlich diejenigen Stimmen vereinigt,
die dem Gesamtklang der Orgel die besondere Majestät verleihen.
Es handelt sich hier in erster Linie um die schweren Zungenstimmen
(Bombarde, Posaune und Trompete). Durch diese Verteilung behalten
die drei übrigen Manuale ihre Klarheit, der Hinzutritt des IV.
Manuals aber ergibt für den Gesamtklang eine schwerprächtige Steigerung
und den letzten festlichen Glanz. Das Manual ist mit 13 Registern
besetzt; unter ihnen befindet sich als Schlagwerk eine Celesta
(Stahlplattenklavier), die in modernen Orchesterwerken oft benötigt
wird, meist aber fehlt.
Pedal: Das
Pedal ist so besetzt, dass es sowohl ein ausreichend kräftiges
Tonfundament abgibt, als auch allen Anforderungen der verschiedensten
Spielrichtungen gerecht wird, es hat 19 Stimmen.
Fernwerk: Das
Fernmanual ist auf einen besonders hellen Charakter abgestimmt
und mit neun Registern besetzt.
Gleichzeitig mit der
Umschaltung tritt auch das Pedal im Fernwerk in Kraft, welches
zwei Register, darunter wiederum eine weich intonierte Zungenstimme
enthält.
Zur Winderzeugung für die Orgel dienen drei elektrische Orgelgebläse,
von denen zwei auf die Hauptorgel, das dritte auf das Fernwerk
wirken.
Um auch die durch
ihren mehr kammermusikalischen
Aufbau bemerkenswerte, musikalisch meist außerordentlich wertvolle
Vor-Bachsche Orgelmusik (Frühbarock), für welche sich in den letzten
Jahren ein andauernd steigendes Interesse bemerkbar macht, stilgerecht
spielen zu können, sind elf Register der Orgel zum Teil nach den
Vorschriften des um 1600 lebenden Musik- und Orgelgelehrten Prätorius,
zum Teil nach den entsprechenden alten Registern der Johanniskirche
zu Lüneburg gebaut. Die Wiederbelebung dieser alten Stimmen ist
erst vor einigen Jahren erfolgt, den Anstoß hierzu gab die von
der Firma Walker auf Anregung von Professor
Gurlitt für das Freiburger
musikwissenschaftliche Institut erbaute Prätorius-Orgel. Wer einmal
Gelegenheit gehabt hat, diese alten Register zu hören, wird sich
ihrem Klangzauber nicht haben entziehen können und wird sich vielleicht
gefragt haben, weshalb der Orgelbau von der Herstellung dieser
wundervollen, echt orgelmäßigen Stimmen jemals abgegangen ist.
Es hat sich aber gezeigt, daß diese alten Stimmen, die mit den
übrigen Registern einer Orgel einwandfrei verschmelzen, sich auch
für moderne Orgelmusik (Reger) wegen ihrer ganz typischen Klangfarbe
vorzüglich eignen. Es wird hierdurch die Orgel als Solo-Instrument
in ihrem Farbreichtum in ungeahnter Weise bereichert. 14 Register,
wie oben erwähnt meist dem ersten Manual angehörend, sind nach
Gottfried Silbermann, dem
bedeutenden Zeitgenossen Bachs und einem der besten Orgelbaukünstler
aller Zeiten, intoniert.
Zur besseren dynamischen
Beweglichkeit des Klanges sind die Register des zweiten, dritten,
vierten Manuals und des Fernwerks in je einem
Schwellkasten eingeschlossen,
dessen eine Hauptwand durch bewegliche Jalousien gebildet wird,
die vom Spieler je nach Wunsch geöffnet oder geschlossen werden
können. Die Stimmen des Hauptmanuals (1), sowie die starken Stimmen
des Pedals stehen dagegen frei, damit sich ihr Klang ungehindert
entfalten kann. Sehr günstig für die Tonentwicklung des Instrumentes
im ganzen wird der Umstand sein, daß von vornherein ein sehr geräumiger,
als mustergültig hinzustellender Orgelraum geschaffen wurde, welcher
so hoch gelegen ist, daß der Klang ungehindert über Chor und Orchester
hinwegfließen kann; ferner dass kein Pfeifenprospekt (Tonfresser!)
gebaut wird, sondern der Abschluss des Orgelraumes gegen den Saal
einfach durch horizontale, feststehende Jalousien von genügend
weitem Abstand erfolgt.
Zusammenfassend kann
gesagt werden, daß die Konzertorgel des Hans-Sachs-Hauses durch
Auswahl, Dimensionierung und Verteilung ihrer klingenden Stimmen
jedem musikalischen Bedürfnis gerecht zu werden in der Lage
ist; die Musik des 17. Jahrhunderts wird auf ihr ebenso stilgerecht
vorgetragen werden können wie die Werke der modernen Komponisten.
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