Organist Martin Sander stellt
alle Vorgänger in den Schatten
Himmelstürmende
Artistik
Altstadt. Für das
letzte diesjährige Orgelkonzert an der Walcker-Orgel im
Hans-Sachs-Haus hatte die Stadt den Berliner Konzertorganisten
Martin Sander verpflichtet. Der erst 24jährige gewann bereits
mehrere bedeutende Orgelpreise und ist daher in Fachkreisen
sehr hoch geschätzt. Martin Sander brachte drei Werke mit: die
Orgelsonate f-Moll von Felix Mendelssohn-Bartholdy - die
geniale Sonate des frühverstorbenen Liszt-Schülers Julius
Reubke - die Variationen und Fuge über ein Originalthema in
fis-Moll op. 73 von Max Reger.
Mendelssohns
erster von seinen sechs Orgelsonaten liegt der Choral „Was
mein Gott will" zugrunde, und zwar mehr als Text - denn als
Notenvorlage; jedenfalls läßt sich ein Programm ableiten.
Martin Sander tat dies, indem er die Themen und Sätze
besonders konstrastreich gegeneinander absetzte. Spannend das
Finale, bei dem
der Organist ein himmelstürmendes, waghalsiges Tempo anschlug.
Ein wahrhaft
aufwühlendes Stück Musik ist die Sonate, die der 22jährige,
schon todkranke Julius Reubke im Jahre 1857 aus sich
herausschleuderte. Man denkt sogleich an die Programmsinfonik
von Berlioz und Liszt, die hier auf die Orgel übertragen
erscheint: eine dramatische, fiebrige virtuose Musik, extrem
zwischen düsteren Farben und peitschenden Rhythmen hin- und
hergestoßen - eine Komposition, kühn und unerhört, getrieben
von Angst, Todesahnung und Trostsuche. Und hier wurde auch
klar, warum der junge Sander einen Preis nach dem anderen
gewinnt; er spielt Reubkes Sonate mit einer so wilden,
existentiellen Entschlossenheit und dabei mit einer so
technischen und klanglichen Brisanz, daß man bestürzt vom
Inhalt und zugleich fasziniert vom artistischen Standard ist.
Regers Variationen
op. 73 gehen mit dem chromatisch gestellten Thema sehr frei um
- nicht im Sinne einer Reihungsform, sondern einer Fantasie.
Martin Sanders Interpretation forciert jedenfalls diesen
Fantasie-Charakter: jähe Tempowechsel, dynamisch schwellende
Kurven, fast pianistische Betonungen und Rubati - das alles
ergab ein flackerndes, beinahe schon expressionistisches
Hörbild. Bei Sander erscheint Regers neobarocke Kontrapunktik
nur noch als notwendige Formhülle, um eine unbändige
Ausdruckslust zu bändigen, die aus allen Fugen bersten will.
Kurz: dieser junge Martin Sander stellte als Interpret und als
Orgeltechniker wohl alle die berühmten Leute in den Schatten,
die bislang auf der Hans-Sachs-Hausorgel zu hören waren.
Heinz-Albert
Heindrichs |