UdSSR-Organist Harry Grodberg
spielte Bach und neue Kompositionen im HSH
Russische
Orgelmusik aus erster Hand
Altstadt. Daß es
in der Sowjetunion Musiker gibt, die sich intensiv mit der
Orgel befassen, wer wußte das hierzulande schon? Die
russisch-orthodoxe Liturgie kennt keine Orgel, und somit gibt
es in Rußland schon seit jeher keine Orgelbautraditon und
mithin keine Literatur für das Instrument. Das Verhältnis zur
Orgel beginnt sich indessen zu verändern, seit sich eine Reihe
von Musikern lebhaft für sie engagieren.
Einer der Pioniere
dieser russischen Orgelbewegung - Harry Grodberg - war nun an
der Orgel des Hans-Sachs-Hauses zu Gast. In seiner Heimat hat
er sich für das Orgelschaffen Johann Sebastian Bachs besonders
eingesetzt, das dort weitgehend unbekannt geblieben ist. So
widmete Grodberg auch in Gelsenkirchen den ersten Teil seines
Programms dem Werk Bachs; er spielte Präludium und Fuge C-Dur
(BWV 545), Pastorale F-Dur (BWV 590) und Toccata und Fuge
d-Moll (BWV 538).
Grodberg machte
auf souveräne Weise deutlich, daß er sich zu den Bachkennern
ersten Grades rechnen darf: seine Auffassung der Musik, seine
lebendige Registrationsweise zeigen an. daß er sich mit den
Bachinterpreten im europäischen Raum höchst fruchtbar
auseinandergesetzt und zu eigenen, fundierten Auffassungen
Bachscher Aufführungspraxis gefunden hat. Virtuoser Höhepunkt
seine Bachspiels war wohl die Toccata, die er in einem
atemberaubenden Tempo und mit geradezu akrobatischem
Pedalspiel temperamentvoll steigerte.
Neugier erweckte
freilich vor allem der zweite Teil des Programms, weil Harry
Grodberg hier zeitgenössische russische Orgelkomponisten
vorstellte. Der Georgier Mikael Tariwerdiew (Jahrgang 1931)
hat sich einen Namen mit Filmmusiken, Opern- und
Ballettproduktionen gemacht; aber in seinem Werkverzeichnis
nimmt die Orgelkomposition einen gewichtigen Platz ein. Sein
Orgelkonzert op. 91 ist Grodberg gewidmet; es hat den Titel
"Kassandra", was anzeigt, daß die Orgel hier nicht als
Kircheninstrument aufgefaßt werden will.
Gleichwohl weist
das viersätzige Werk Merkmale auf, die auf ein Studium
europäischer Vorbilder schließen lassen: neobarocke Figuren
und romantische Harmonievorstellungen sind vorherrschend;
gelegentlich gibt es Ausweitungen in freitonale Zonen. Mit der
Seherin Kassandra verbinden sich düstere Prophezeiungen -
davon war, für hiesige Ohren, aus der Musik wenig
wahrzunehmen, so daß der Titel eher irritierte.
Oleg Nirenburg
(Jahrgang 1938) schrieb mehrere Konzerte und Sonaten für Orgel
und gilt als "erster bedeutsamer Vertreter einer
eigenständigen russischen Orgelmusik", wie Grodberg im
Programmheft schreibt. Seine "Fantasie über ein russisches
Thema" könnte freilich - in Satzstruktur wie Harmonik - auch
von Max Reger sein, was über die Qualität des Stückes nichts
besagt, wohl aber über die Schwierigkeit, ohne Tradition eine
Schule zu bilden.
Zum Abschluß
erklang ein Präludium und Fuge e-MolI von Dimitri
Schostakowitsch (1906-75) - das für Klavier geschriebene Opus
verdankt seine Entstehung der Auseinandersetzung mit Bach, ist
gewissermaßen eine Hommage für ihn. Harry Grodberg hat die
Komposition für Orgel umgearbeitet, und so klingt sie nun auch
wie ein nach heute transportierter Bach.
Ein engagiertes
Programm -ein erstklassiger Musiker - ein außergewöhnliches
Instrument: was kann man dem Publikum besseres bieten? Aber wo
bleibt es? Stimmt vielleicht nur die Werbung nicht?
Orgelfreunde und Kenner gibt es in unserer Stadt ja doch
viele.
Harry Grodberg -
vom Gelsenkirchener Instrument fasziniert, wie er in bestem
Deutsch sagte - spielte gleich zwei Zugaben.
Heinz-Albert
Heindrichs |